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Trauer um Georg Ratzinger

Bruder des emeritierten Papstes tot

  • Veröffentlicht: 01.07.2020
  • 14:30 Uhr
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© dpa

30 Jahre lang war Georg Ratzinger Leiter der weltberühmten Regensburger Domspatzen. Im Rampenlicht stand er aber vor allem als Bruder von Papst Benedikt XVI. Nun ist er gestorben. Doch kurz zuvor erfüllte sich ihm noch ein Herzenswunsch.

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Er war schon ein alter Mann, als sich sein Leben von einem auf den andern Tag grundlegend ändern sollte. Georg Ratzinger saß am frühen Abend des 19. April 2005 vor dem Fernseher, als es über den Petersplatz in Rom "Habemus papam" schallte und der Name des neuen Papstes verkündet wurde: Joseph Ratzinger. Der damals 81-Jährige sackte kreidebleich in seinem Stuhl zusammen. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass es nun kaum noch ein Privatleben mit seinem Bruder - Papst Benedikt XVI. - geben würde.

Knapp acht Jahre später trat das katholische Kirchenoberhaupt als erster Papst der Neuzeit zurück. "Das Alter drückt", meinte Georg Ratzinger damals.

Am Mittwoch starb Georg Ratzinger, der langjährige Leiter der weltberühmten Regensburger Domspatzen, nun im Alter von 96 Jahren. Kurz vor seinem Tod erfüllte sich ihm noch ein Herzenswunsch, den er mit seinem jüngeren Bruder Joseph teilte: Die beiden betagten Theologen konnten sich noch einmal in Regensburg treffen. Am 18. Juni traf der emeritierte Papst dort völlig überraschend ein. "Es ist vielleicht das letzte Mal, dass sich die beiden Brüder, Georg und Joseph Ratzinger, in dieser Welt sehen", sagte der Sprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck, an jenem Tag.

Seit dem Rücktritt Benedikts im Jahr 2013 konnten die Brüder sich wieder ohne protokollarischen Zwang treffen. Normalerweise verbrachte Georg stets zusammen mit seinem Bruder dessen Geburtstag im Vatikan. Mit bayerischem Bier, Weißwürsten und Brezen. Zum 93. Geburtstag von Joseph Ratzinger Mitte April fiel diese traditionelle Feier allerdings wegen der Corona-Pandemie aus.

Dass der Ex-Domkapellmeister trotz der Prominenz seines Bruders ganz er selbst geblieben war, beweist ein verbürgter Wortwechsel auf dem Regensburger Domplatz: "Sind Sie der Bruder vom Ratzinger?", fragte eine junge Frau den alten Herrn kurz nach der Papstwahl im Vorübergehen. Die Antwort des Prälaten: "Ich bin der Ratzinger."

Die Brüder Georg und Joseph verband seit jeher ein inniges Verhältnis. Sie ähnelten sich nicht nur durch das schlohweiße Haar und den gebückten Gang: Beide wurden am 29. Juni 1951 im Freisinger Dom von Kardinal Michael Faulhaber zu Priestern geweiht.

Im Traunsteiner Knabenseminar, das sie zuvor besucht hatten, hieß Joseph mit Spitznamen "Bücherratz", Georg war der "Orgelratz". Während der jüngere nach dem Studium der Theologie rasch als Kirchengelehrter von sich reden machte, studierte der ältere zusätzlich Musik und wurde nach einer Station in Traunstein 1964 Domkapellmeister in Regensburg.

In dieser Funktion leitete er 30 Jahre lang den ältesten Knabenchor der Welt. Ratzinger führte die Domspatzen zu Konzertreisen in alle Welt. In seine Ära fielen auch die Feiern zum tausendjährigen Bestehen des Chores im Jahr 1976. "Der liebe Gott hätte mir keine schönere Aufgabe geben können", blickte der Honorarprofessor im Ruhestand zurück auf seine Doppelberufung als Priester und Kirchenmusiker.

Im hohen Alter holte ihn jedoch der Skandal um Misshandlungen und sexuellen Missbrauch bei den Domspatzen ein. Konfrontiert mit Vorwürfen gestand Ratzinger, Singknaben in seinen Anfangsjahren als Kapellmeister selbst die eine oder andere Ohrfeige verpasst zu haben. Ein ehemaliger Domchorsänger nannte ihn einen Sadisten und Gewalttäter.

Ratzinger bestritt aber, vom sexuellen Missbrauch durch Priester und Erzieher gewusst zu haben. Die vom Bistum und seinem Nachfolger Roland Büchner angestoßene Aufklärung des Skandals nannte Ratzinger einen "Irrsinn", relativierte die Aussage aber kurz darauf.

Geboren am 15. Januar 1924 in Pleiskirchen nahe dem Wallfahrtsort Altötting, erlebte der junge Georg Wanderjahre durch mehrere kleine oberbayerische Orte - der Vater wurde als Polizist häufig versetzt. Nach Schulausbildung und Kriegsdienst in der Wehrmacht der Nazis studierte er von 1946 an Theologie in Freising.

Neben der Pflege der alten Musik begeisterte sich Ratzinger vor allem für die romantische Chorliteratur. Besucher von Domspatzen-Konzerten unter seiner Leitung schwärmen noch heute von dem "Gänsehautgefühl", das sich bei der Interpretation etwa von Werken Anton Bruckners einstellte.

Dass die Kirchenmusik des lange vergessenen Liechtensteiner und späteren Münchner Komponisten Joseph Gabriel Rheinberger (1839-1901) heute wieder oft zu hören ist, gilt als Verdienst Ratzingers, der sich dessen Schaffen ganz besonders annahm.

Nach seinem Ruhestand trat Ratzinger 1994 in das Regensburger Stift St. Johann ein. In einem Haus unweit des Domes lebte er zuletzt zurückgezogen. Er war fast vollständig erblindet und zudem auf den Rollstuhl angewiesen. Von den regelmäßigen Besuchen bei seinem Bruder, dem emeritierten Papst, im Vatikan konnten ihn aber auch noch so schwere körperliche Gebrechen jahrelang nicht abhalten.

2018 hatte Georg der Deutschen Presse-Agentur gesagt, er bete jeden Tag "um eine gute Todesstunde für meinen Bruder und mich". Humorvoll fügte er hinzu: "Wie wir halt sind, wir alten Dackel."

Auch Benedikt äußerte sich immer wieder zu einem bevorstehenden Ende. Vor zwei Jahren schrieb er in einem Brief an eine italienische Zeitung: "Während meine physischen Kräfte langsam schwinden, pilgere ich innerlich nach Hause."

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