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"Würde es wieder machen"

Fritz Keller: Der entführte DFB-Präsident

  • Veröffentlicht: 26.09.2020
  • 20:22 Uhr
  • dpa
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Am Sonntag jährt sich die Wahl von Fritz Keller zum DFB-Präsidenten zum ersten Mal. Es war kein einfaches Jahr für den Deutschen Fußball-Bund und den neuen Mann an der Spitze.

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In seinem "Paradies" kommt Fritz Keller zur Ruhe. Auf der Terrasse des Familien-Weinguts in Vogtsburg im Kaiserstuhl nahe der französischen Grenze erzählt der 63-Jährige leidenschaftlich von Traditionsbewusstsein, Unternehmergeist und Nachhaltigkeit - von jenen Werten, die schon sein Großvater gelebt und über die Generationen weitergegeben habe. Mit traumhaftem Blick auf das Naturschutzgebiet um den Badberg wirkt der mehrfach ausgezeichnete Winzer zwar ab und an wehmütig. Die Wahl zum DFB-Präsidenten vor einem Jahr aber bereut er nie. "Ich würde es immer wieder machen", sagt Keller im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der krisengeplagte Verband brauchte nach dem Rücktritt von Reinhard Grindel ein Gesicht für den Neuanfang - und fand Keller, Patenkind des 54er-Weltmeisters Fritz Walter. "Ich habe mich nicht selber ausgesucht", betont der frühere Präsident des SC Freiburg. Er sei "mit meinen Werten quasi 'gehighjacked' worden". Ob er wirklich "entführt" meint, bleibt offen. Es würde aber passen.

Jahrelang konnte Keller tief im Südwesten in aller Ruhe und unbehelligt arbeiten. Die DFB-Zentrale in Frankfurt/Main ist eine andere Welt, dazu kam die Corona-Krise, die den Verband vor enorme Herausforderungen gestellt hat. "Je länger man weg ist, desto mehr genießt man es, wenn man zurückkommt", sagt Keller, der sich - nicht ohne Anpassungsschwierigkeiten - erst einfinden musste.

Aufarbeitung der schweren DFB-Vergangenheit

Seit dem 27. September 2019 führt er den DFB, für dessen Vergangenheit er keine Verantwortung trägt, die er aber moderieren muss. Unter anderem die ungeklärten Millionenzahlungen im Vorfeld der WM 2006 belasten den Verband noch immer. Jüngst interessierte sich auch wieder die FIFA-Ethikkommission für die Zahlungsströme, in die Franz Beckenbauer maßgeblich involviert war. Keller hat offensiv angekündigt, erneut aufklären zu wollen. Ob er sich damit einen Gefallen getan hat?

Die noch von Grindel für viel Geld beauftragte Ermittlung einer Anwaltskanzlei hatte viele Fragen offen gelassen, die Spur versandete bei einem Skandalfunktionär in Katar. Die Mitwisser von damals schweigen weiterhin beharrlich. "Es wird etwas Neues geben", sagt Keller. "Wir appellieren aber weiterhin an alle, die etwas zur Aufklärung beisteuern können, sich zu beteiligen". Es sei an der Zeit, "diesem Jahr 2006, diesem Leuchtturm des deutschen Fußballs, den letzten Schatten zu nehmen. Wir alle hoffen sehr, dass uns das gelingt", sagt er. "Wie mir berichtet wird, sind wir ganz nah dran."

Es sind etliche Dinge, die Keller unbedingt anpacken will - und auch schon zum Positiven verändert hat. "Wir setzen den eingeleiteten Kulturwandel konsequent fort. Wir reden mehr, offener und zielorientierter miteinander", sagt er. In der DFB-Zentrale, die bald in die über 130 Millionen Euro teure Akademie nicht weit entfernt im Stadtteil Niederrad umzieht, arbeiten etliche fähige Angestellte. Die Strukturen sind längst professionalisiert.

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"Noch nicht dort, wo wir hinwollen"

"Die Compliance-Regeln, die wir haben, sind mit die schärfsten, die ich aus der Industrie kenne", sagt Keller. "Wir sind, was die Lehren aus der Corona-Krise betrifft, im Dialog mit der UEFA, der Politik, den Top-Clubs und natürlich auch mit den Fans. Wir sind aber noch lange nicht dort, wo wir hinwollen."

Keller ist ohne den entsprechenden Hintergrund kein Medienprofi wie seine beiden gescheiterten Vorgänger Grindel und Wolfgang Niersbach. Die Live-Auftritte des Freiburgers, die in Zeiten von Corona und zuvor der schwerwiegenden Rassismus-Debatte oft gefragt waren, wirkten oft holprig, teils unglücklich. Schriftliche Stellungnahmen werden penibel abgestimmt. In der hektischen und aufgeregten Fußballwelt, in der über die sozialen Medien immer alles kommentiert und seziert werden kann, wird es so nicht einfacher.

Als Keller im Mai in einem "Spiegel"-Interview die "Großkotzigkeit" des Profi-Fußballs anprangerte und damit eigentlich vielen Fans aus der Seele sprach, bekam er heftigen Gegenwind aus den vermeintlich eigenen Reihen zu spüren. "Wenn wir eine Krise in den letzten Jahren im deutschen Fußball hatten, dann war sie beim DFB zu suchen", sagte Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge im TV-Sender Sky und riet dem Verband, vor der eigenen Tür zu kehren. Es sind viele Kräfte, die am DFB zerren.

Bekenntnis zum Umweltschutz

Keller kann viel richtig machen - Aufreger wie zuletzt der vollkommen unnötige Flug der Nationalmannschaft von Stuttgart nach Basel überlagern aber öffentlich die Reformbemühungen, in dem Fall das klare und glaubwürdige Bekenntnis zum Umweltschutz. "Wenn man sein Leben lang so dicht an und mit der Natur arbeitet, wie ich es als Winzer getan habe, dann weiß man, was die letzten zwei Generationen angerichtet haben", sagt Keller, der zudem die undankbare Aufgabe geerbt hat, den Verband mit den Fans zu versöhnen.

"Wir wollen nicht zurück zu einem kaputten System. Wir fordern Vereine und Verbände auf, vor dem Beginn der kommenden Saison zu handeln", hieß es in einem im Juni veröffentlichten Aufruf der Initiative "Unser Fußball". Keller ist auf der gleichen Linie. Er stellte einen Fünf-Punkte-Plan vor, ein "Weiter so" will der DFB-Präsident nicht verantworten. Manchmal wirkte es dabei so, als würde er selbst nicht verstehen können, wie die Gräben so tief werden konnten. Im Breisgau, weit weg von der großen Fußballwelt, waren die Dinge deutlich einfacher.

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