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Das TV-Duell

Klare-Kante-Schulz gegen All-Inclusive-Merkel

  • Veröffentlicht: 03.09.2017
  • 23:30 Uhr
  • dpa
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© Herby Sachs/ARD-Pool/dpa

Die Kanzlerin und ihr Herausforderer schenken sich nichts. Er versetzt ihr so manchen Hieb, sie führt am Ende kurz Regie. Es sieht nach Vorteil Schulz aus. Zumindest an diesem Abend.

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Angespannt wirken beide. Jedenfalls am Anfang. Angela Merkel atmet tief durch, sie bemüht sich zu lächeln, presst aber die Lippen aufeinander. Martin Schulz nimmt schon einmal sein Schlusswort vorweg. Dann aber erlebt ein Millionenpublikum am Sonntagabend, wie der SPD-Herausforderer sich in diesem einzigen TV-Duell vor der Bundestagswahl immer mehr in Fahrt redet und der Kanzlerin hier und da einen Stich versetzt.

Merkel bleibt sich aber treu. Sie argumentiert detailgenau und wehrt sich gegen zugespitzte Positionen, "nur weil wir im Wahlkampf meinen, uns übertreffen zu müssen". Schläfert sie die Nation ein, ist sie die "All-inclusive-Kanzlerin" der Beliebigkeit, halten ihr die Moderatoren vor? Jeder Mensch verändere sich mit Herausforderungen, kontert die CDU-Chefin, die sich für einen himmelblauen Blazer entschieden hat. Die berühmte schwarz-rot-goldene "Schlandkette" von 2013 hat sie in der Schublade gelassen - dieses Mal ziert schlichtes Silber den Hals der Kanzlerin.

Blauer Anzug, klare Kante

Der Sozialdemokrat - hellblauer Anzug mit blauer Krawatte - fordert kämpferisch "klare Kante" und bezieht sie auch. Er fordert den sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen, weil das die einzige Sprache sei, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verstehe. Merkel, die noch nie für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union war, mahnt zur Besonnenheit. Das könne nicht Deutschland allein, sondern müsse die gesamte EU entscheiden. Außerdem sei noch am Freitag Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) ihrer Meinung gewesen - damit legt sie den Finger in die Wunde, wer denn bei den Genossen das Sagen hat?

Zwischendurch verspottet Schulz Merkels Zusicherung, es werde keine Rente mit 70 geben. "Frau Merkel à la bonheur! Ganz toll!", ruft er und hält der CDU-Chefin indirekt vor, zu lügen. Sie habe vor vier Jahren ja auch die Maut verneint und dann sei diese doch beschlossen worden. Da verdreht Merkel fast die Augen, denn sie habe damals nur gesagt, dass es keine Pkw-Maut geben werde, die die deutschen Autofahrer belastet.

Einmal verliert Schulz ziemlich den Faden. Gehört der Islam zu Deutschland? Er sucht nach Worten. Um sich zu retten, sagt er ein Zitat auf, das er sich eigentlich für seine Schlussansprache aufheben wollte, wie er hervorpresst. "Jenseits von richtig oder falsch, gibt es einen Ort, an dem treffen wir uns", zitiert Schulz einen schiitischen Philosophen. Man dürfe nicht eine ganze Religion verhaften für die terroristischen Taten einer kleinen Minderheit.

Schulz als starker Redner, Merkel zögert

Schulz zeigt, dass er "Bild"-Vize Bela Anda sowie der österreichische Medienberater Markus Peichl, haben ihn gut eingestellt gegen Merkel, die einmal zeigt, dass ihr diese Art der Auseinandersetzung nicht besonders liegt.

Am Samstag hat Schulz noch einmal mit Peichl trainiert. Am Sonntag schläft er in seinem Berliner Hotel aus. Danach geht Schulz spazieren. Merkel hat vor dem Duell trotz aller Erfahrung auch noch einmal die kontroverse Debatte trainiert, heißt es in der CDU. Und keinen einzigen Termin als Parteichefin und Kanzlerin wahrgenommen. Das passiert sonst nur zu Weihnachten.

Viele Wähler unentschlossen

Aber wie wirken die beiden auf die Zuschauer? Ein Unentschieden dürfte für Schulz zu wenig sein. Die SPD selbst hatte die Latte für den direkten Schlagabtausch mit Merkel sehr hoch gelegt. Von der fast schon letzten Chance war die Rede, um drei Wochen vor der Wahl noch eine Wende in den Umfragen zu erzwingen. Seit Wochen liegen die Sozialdemokraten wie festgenagelt rund 15 Punkte hinter der Union. Aber viele Wähler sind nach einem schlappen Wahlkampf unentschlossen. Die Genossen verweisen auf 2005: Hat "Gerd" Schröder damals nach einem furiosen Endspurt nicht fast noch gewonnen? Aber Schröder war Kanzler. Schulz hat überhaupt kein Amt, außer den Parteivorsitz.

Doch können diese 90 TV-Minuten eine Wechselstimmung in der Republik erzeugen? Merkels Bilanz kann sich sehen lassen. So viele Jobs wie noch nie, 80 Prozent der Deutschen sagen, es geht uns gut. Die an das Duell geknüpften SPD-Hoffnungen erfüllten sich schon 2013 nicht.

SPD-Herausforderer Peer Steinbrück schaffte es damals, Merkel ein paar Mal in die Enge zu treiben. Sein resoluter Auftritt im Duell brachte ihm aber kein Glück. Kurze Zeit später zeigte er der Republik auf einem Magazin-Cover den Stinkefinger - für Schulz bis heute ein abschreckendes Beispiel. Drei bis vier Punkte habe das Bild seinerzeit die SPD im Endspurt gekostet. Schulz will es besser machen. Drei Wochen bleiben ihm.

Die berühmten letzten Worte

Für die berühmten letzten Worte an die Zuschauer hat er eine Minute. In 60 Sekunden verdiene eine Krankenschwester weniger als 40 Cent, ein Manager aber 30 Euro. Schulz versucht bei seinem Kernthema der sozialen Gerechtigkeit zu punkten. Viel sei in Bewegung. Deutschland brauche den Mut zum Aufbruch. Man müsse Zukunft gestalten und nicht Vergangenheit verwalten, ein Hieb gegen die Dauerkanzlerin. "Ich bitte Sie um Vertrauen", sagt Schulz, da sind 60 Sekunden schon rum.

Merkel sprach vor vier Jahren mit treuem Augenaufschlag ihren inzwischen legendären Satz "Sie kennen mich" in die Kamera. Diesmal sagt sie, dass sie für und mit den Bürgern gemeinsam arbeiten will. Dann kommt ihr seit der Flüchtlingskrise berühmt-berüchtigter "Wir-schaffen-das-Satz": "Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen können." Und dann: "Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend." Damit übernimmt sie ganz zum Schluss die Regie und beendet noch vor den Moderatoren das Duell.

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